1.4. Paraje er Turillote
Es geht nach Ecija…die Fahrt zieht sich, hin, dort muss ich lange warten, da ich erst abends abgeholt werden kann. Es ist eine Mini-straße, der ich folgen muss, wenige Autos, also versuche ich es nochmal mit rausgestrecktem Daumen – kein Glück, ich warte.
Endlich kommt die Familie, die mich einige Tage in ihrer werdenden Gemeinschaft aufnehmen wird: Vincent und Belle mit Lili (3) und Miriam (6 Monate). Erst fahren wir noch in die Stadt, Wäsche waschen und die Kinder baden, da es bei der Gemeinschaft noch kein fließendes bzw. warmes Wasser gibt.
Als wir endlich auf dem Rückweg sind, haben wir auch noch eine Reifenpasse.. alles zieht sich so lange hin, dass wir schließlich erst gegen 22:30 zuhause sind. Es gibt essen und ich versuche, Mayla noch ein wenig zu füttern..Doch die ist total unausgeglichen und unzufrieden, ich versuche, sie ins Bett zu bringen, doch sie lässt sich schwer beruhigen.
Die Fahrt an sich hat sie gut überstanden, doch es war ein langer Tag mit viel Ortswechsel und durch das häufige späte irgendwo-ankommen in den letzten Tagen ist sie sichtlich durcheinander.
Hier möchte ich kurz hervorheben:
Natürlich gibt es auch Aspekte des Reisens, die Mayla nicht gut tun. Jetzt zum Beispiel sitze ich da und versuche ein übermüdetes Kind zum schlafen zu bringen, in einer fremden und dunklen Umgebung ohne elektrisches Licht, es ist kalt, ich fühle mich schludig meiner Gastfamilie gegenüber, die erschöpft vom Arbeiten am Tisch zum essen sitzen, während ich versuche, Mayla zur Ruhe zu kriegen, und noch schuldiger meiner Tochter gegenüber, dass es so weit kommen musste.
Mir ist bewusst, dass Routine und Struktur für ein Kind wichtig sind. Diese gehen leider beim Reisen häufig verloren. Ständig neue Leute, neue Schlaf- und Essensplätze, natürlich verwirrt das. Das einzig immer Gleichbleibende ist meine Nähe – noch viel konstanter als Zuhause – und ihr Kinderwagen.
Im Tragetuch schließlich schläft sie ein, ich stürze schnell meine Schale Suppe herunter, während die Familie sich bereits anfängt, schlafen zu legen – es gubt nur einen Raum.
Schließlich bringt Vincent mich zu meinem Wohnwagen.
Es ist eisig kalt, aber ich habe meine Privatsphäre- was mir momentan wichtiger ist.
Die Gemeinschaft heißt „Paraje er Turillote“ und wird gerade von dieser Familie gegründet. Momentan lebt noch ein französischer Wwofer mit auf dem Hof. Der Hof, das ist ein grüner Oase mitten in weiter offener Ackerlandschaft.
Das Grundstück wurde erst vor 4 Jahren gekauft – vorher ein ebenfalls offenes Stück Brachland. Nun ist es schon voll bewachsen, teilweise verwildert. Innerhalb weniger Wochen zog Vincent aus dem Nichts ein großes Haus mit mehreren Räumen hoch, alleine – durch die Strohballentechnik. Dabei wird eine Wand aus in diesem Fall Weizenstroh und Kalk gebaut. Das geht schnell, ist sehr ökologisch und umweltschonend, günstig und hält dicht und ist ziemlich schalldicht – einfach genial also. Inziwschen leben 3 Hunde und Katzen und viele Hühner auf dem Hof und es wurden knapp 300 Bäume gepflanzt. Vincent erklärt mir, dass die komplette Flora und Fauna zerstört war, als sie begannen. Duch die drastischen Maßnahmen der Landwirtschaft und den Einsatz chemischer Mittel gab es praktisch keine Lebewesen mehr im Boden, kein noch so kleines Pflänzchen wuchs und der Boden erhole sich gerade vond er jahrelangen Bewirtschaftung.
Außerdem bauten Vincent, Belle und teilweise Wwoofer ein Bungalow, eine Komposttoilette, ein Solarsystem, riesige Gemüsefelder und ein großes Auffangbecken für das Regenwasser. Noch gibt es nur kaltes Wasser, doch schon im nächsten Winter soll ein System zum automatischen Erhitzen des Wassers gebaut werden. Alles ist auf eine zukünftige Selbstversorgung aufgebaut, mithilfe von Permakultur, Tierhaltung, Solar, Regen- und Grundwassernutzung.
Es ist gerade so kalt, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass Ecija im Sommer der heißeste Ort Spaniens ist, auch die Bratpfanne Spaniens genannt. Temperaturen über 50°C sind hier keine Seltenheit!
Nun ist es hier aber eiskalt. Mayla und ich decken uns mit unseren Schlafsäcken und ca. 5 anderen Decken zu, aneinandergekuschelt gibt uns das genug Wärme, doch es ist wirklich eisig und man sieht unseren Atem.
Jeden Abend legen wir einen Haufen Steine in das Feuer, das in einem Ofen im Wohnhaus brennt und nehmen diese in einem Eimer mit in den Wohnwagen. Dies bringt mehr als erwartet und steigert die Temperatur im Wohnwagen um einige Grad – zumindest für die erste Hälfte der Nacht.
Es werden gerade Bienenstöcke gezimmert, die bei der Bestäubung der Pflanzen helfen und außerdem natürlich Honig bringen sollen.
Abgewaschen wird – das kenne ich schon von anderen Orten – mit Sand und Asche und ein großer Teil der Nahrung kommt von den eigenen Feldern.
Leider sprechen Vincent und Belle fast kein Wort englisch. Wir können natürlich trotzdem kommunizieren – mit Flo’s HIlfe, der gutes englisch und spanisch spricht, mit Händen und Füßen, mit Skizzen, mit meinen Fetzchen spanisch und ihren Fetzchen englisch.
Doch ich möchte gerne darüber hinaus kommunizieren! Die so sehr autonome Lebensweise der Familie inspiriert mich und ich möchte gerne mehr darüber wissen. Ich möchte wissen, wie sie die Häuser bauen, die Pflanzen ziehen, die Komposttoilette funktioniert, welche Pläne sie haben, was sie gerade machen, ihre Einstellungen und Philosophien erfahren.. doch dafür ist die Kommunikation zu schlecht.
Leider haben wir Pech mit dem Wetter. Es ist kalt und regnet ununterbrochen und da ich für Mayla keine Regenkleigdung mit habe, können wir uns fast nur im Wohnwagen oder im Wohnhaus aufhalten. Alle sind beschäftigt und ich weiß nicht, wie ich helfen kann und schaffe es auch schlecht zu helfen mit einer Mayla, die es ständig schafft, die Orte und Objekte zu finden, die zu gefährlich sind für sie.
Und Belle hat Miriam die ganze Zeit auf den Rücken gebunden, eine Decke über beide gelegt, Lili rennt irgendwo in Gummistiefeln herum und Flo und Vincent werkeln und arbeiten ununterbrochen.
Mayla interessiert sich für die kleine Miriam überhaupt nicht, dafür umso mehr für Lili, die voller Action ist. Und die hat auch Interesse an Mayla und versucht mit ihr zu spielen. Die beiden toben und häufig muss man Lili daran erinnern, dass Mayla kleiner ist als sie, da sie sehr energetisch und rupp spielt.
3.-6.4. Los Portales
Nach zwei Nächten – ich wäre gerne länger geblieben, aber die Kommunikationsschwierigkeiten und der stete Regen veranlassen, dass ich schon früher gehe – bringt Flo mich zur Busstation. Bis der Bus kommt, quatschen wir, dann steige ich ein und es geht in die nächste Kommune!
Eine Französin, in ihren 50ern, holt mich aus Sevilla ab. 2 Stunden fahren wir und die Fahrt ist wunderbar. Wir reden viel (die Französin spricht holpriges, aber gutes Englisch) und ich genieße die Landschaft. Die letzetn 45 Minuten fahren wir über Feldwege, es ist holprig und wir müssen praktisch schleichen – dafür ist die Aussicht um so schöner. Strahlender Sonnenschein, weites, grünes Land soweit das Auge reicht, durchzogen von blauen Flüssen, hier und da kleine Herden von Kühen oder Pferden.
Mayla verschläft fast den ganzen Weg.
Als wir ankommen, verliebe ich mich direkt in die Häusere. Helle, hohe, einladende, saubere Gebäude. Maylas und mein Zimmer ist wunderschön und geräumig, die Gemeinschafträume ebenfalls, ausgezeichnet durch einen langen Gang, der um drei Ecken geht und mit riesengroßen Fenstern ausgestattet ist. http://www.losportales.net/English/views.html
Ein großer Meditations- und Seminarraum, in dem gerade ca. 8 Kinder toben, ein riesiges Esszimmer mit mehreren kleinen Tischen, riesige Kamine, eine Bibliothek, eine Apotheke, 2 große Küchen, 2 Schulräume, ein Werkraum, ein Textilraum, große Lagerräume, eine Bäckerei, eine Olivenpresse für Olivenöl, eine Käserei, eine Mühle, ein riesiger Hühnerstall und -auslauf, mehrere riesengroße Gewächshäuser und und und
Und dann erst die Tiere! Mayla fallen die Augen aus dem Kopf, als wir uns erst die vielen Ziegen (für Milchproduktion) anschauen – es gibt gerade sogar Zicklein! – die verschiedenen Hunde betrachten, die Katzen suchen, die Pferde streicheln, den Esel finden, Katzenbabys gezeigt bekommen,… Es gibt zwei kleine Seen, die romantisch neben den Wohnhäusern liegen, sowie einen Swimmingpool, der momentan aber nicht genutzt wird (wassersparen). Und das alles bei wunderschönem Wetter, sodass Mayla durch das Gras krabbeln kann und an den Blumen riechen kann.
Und dann erst die Aussicht! Wir sind ziemlich weit hoch gefahren. Von hier aus hat man einen wundervollen Blick auf die weiten Ländereien von Los Portales, auf entfernte Hügel, auf grüne, fruchtbare Landschaft, auf einen riesigen See in der Ferne.
Die Leute sind hauptsächlich Franzosen und Spanier und fast alle Menschen können hier beide Sprachen, viele aber auch englisch. Vor etwa 20 Jahren gründete ein Haufen Franzosen diese Gemeinschaft, seitdem entwickelt sie sich immer weiter und mehr Leute sind dazu gekommen. Geld wird eingebracht durch manche Menschen, die in Madrid arbeiten, durch Brot- und Käseverkauf, Kunstverkauf, das Anbieten von Seminarräumen, Workshops und Meditationswochenende sowie „Dream-Healing“.
Ich bin erstaunt, wie gut scheinbar alles funktioniert. Es gibt ein wunderschönes und unheimlich großes Gäastehaus, 10 Minuten Fußweg von dem Hausgebäuden entfernt, sowie ein Haus für Freiwillige, die hier zum Wwwofen hinkommen.
Die vielen Menschen zwischen 25 und 60 Jahren die hier leben wirken interessiert und friedlich-freundlich. 5 mal täglich (!!) gibt es essen, immer biologisch-ökologisch, gesund. Milchprodukte nur von den eignen Ziegen, Fleisch nur seltenst, wenn eigene Ziegen geschlachtet wurden. Alles läuft über Solar- und Windradenergie, jeder hat irgendwelche Aufgaben, das Geld gehört allen, es gibt viele Kinder und es scheint gut zu funktionieren.
Für Mayla ist es hier natürlich ein Paradies. Ich treffe ein deutsches Pärchen, das mit ihrem gerade 3jährigen Sohn seit etwa 5 Wochen hier lebt. Er sei wahnsinnig schnell mit der Sprache! erklären sie mir ein wenig neidisch. Er könne jetzt schon spanisch ziemlich gut sprechen, französisch fast alles verstehen, nach 5 Wochen! Auch alle anderen Kinder können mindestens diese zwei Sprachen.
Ich komme hier gut zur Ruhe und mache viele Spaziergänge mit Mayla auf meinem Rücken. Wir sitzen lange in Blumenwiesen und Mayla beginnt, das Babyzeichen für Blume zu imitieren, was mich unheimlich freut. http://www.babyzeichensprache.com/
Dennoch machen wir schwere Nächte durch. Mayla hat eine total verstopfte Nase und mir kippen ihre Nasentropfen um, sodass ich ihr nicht Abhilfe schaffen kann. Außerdem hat sie geschwollenes Zahnfleisch – ob endlich die Zähne kommen? – und weint in den Nächten viel.
Tagsüber ist sie ein echter Rabauke und fällt häufig hin, was zur Folge hat, dass sie total vermackelt aussieht. Dennoch sind alle ganz begeistert von ihr und ich höre das übliche „guapa, guapa!“ (=hübsch).
Ich lese das Buch, dass ich nach Verlassen des Bootes in Huelva in meinem Rucksack gefunden habe – die Familie, die neben mit geschlafen hatte, hat es dort heimlich, mit rührender Widmung, deponiert http://www.juliamalchow.de/buch/
Ich lese es innerhalb von drei Tagen durch (trotz Mayla!) und bin erstaunt von den Parallelen. Julia reist mit ihrem Sohn, der ebenfalls zu Beginn der Reise 10 Monate alt ist, ebenfalls 2 Monate lang. In vielen ihrer Gedanken, Beschreibungen, in ihrer ‚Mission‘ etc. finde ich mich wieder. Ständig denke ich „Das kenne ich““, „Das geht mir genauso“ und „Das erinnert mich an Mayla!“ Besonders schmunzeln muss ich, wie sie beschreibt, wie ein Wasserball, der wie eine Weltkugel aussieht, ihr ständiger Begleiter ist und ihren Sohn Levi bespaßt.
Ich mussauf Mayla blicken, die ebenfalls gerade mit ihrem Welten-Wasserball spielt und muss aufgrund dieser Parallele grinsen.
Nach drei Tagen verabschiede ich mich von all den lieben Menschen und den inspirierenden Gebäuden hier und lasse mich wieder nach Sevilla bringen, von wo aus ich den Zug nach Granada nehme.
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